Otmar Alt ist aus vielen unterschiedlichen Gründen ein wahres Phänomen in der deutschen und internationalen Kunstszene. Er ist noch immer ohne Unterbrechung und Urlaub, - ja, welcher Künstler hat so etwas überhaupt? -, ohne Assistenten und factory, ohne Nachlassen und Retro-Stil in einem Maße aktiv, dass man es oft nicht glauben mag. Was in seinem Atelier in Hamm-Norddinker Tag für Tag und Nacht für Nacht in seiner unverwechselbaren Handschrift und mit immer neuen Ansätzen entsteht, beeindruckt stets aufs Neue.
Es würde Wochen und Seminare füllen, wollte man sich über sein Oeuvre und Leben ausführlich auslassen. Eine solche Ausstellung über sein bisheriges Lebenswerk bietet aber die Gelegenheit, in Kernaussagen Person und Schaffen zu würdigen.
Was macht einen großen Künstler aus? Nicht die Menge der Bilder und Objekte, nicht die Bücher, Reden und Aufsätze über ihn, nicht die Ehrungen und die öffentliche Präsenz, nicht die Kopisten und Neider. Die wichtigsten Kriterien sind die Unverwechselbarkeit, die Autonomie und die Authentizität seiner Kunst.
Also das Alleinstellungsmerkmal seiner Formensprache, die ganz unabhängige und charakteristische Entwicklung seiner Kunst sowie die Unbedingtheit des Kontextes von Person und künstlerischer Aussage. Alles hat in seinem Leben und Werk unmittelbar mit ihm persönlich zu tun, ob es die Themen, die Motive, die Geschichten, die Formen und ihr Wechsel, die Objekte und ihre Orte, die Bildstimmungen und Symbolwerte und viele Aspekte mehr sind.
Otmar Alt gehört nicht zu denen, die etwas abliefern würden, zu dem sie nicht stehen können. Diszipliniert und klar, leidenschaftlich und ruhig, technisch versiert und thematisch universal widmet er sich seinen Werkideen, die nur so aus ihm heraussprudeln. Seit 50 Jahren arbeitet er in vielen Gattungen - vom Bild bis zum Theater, vom Pin bis zur Großskulptur, vom Bobby Car bis zum – im Kreis Düren besonders bekannten - Otmar Alt-Sprinter. Da sind keine Berührungsängste, keine pseudo-elitären Vorbehalte, keine Unfähigkeiten. Bei ihm führt von jedem neuen Versuch ein zunächst vielleicht gewundener, dann aber gerader Weg zu jeder neuen Lösung.
Seine Stilschritte von der reinen Abstraktion über die neue Figuration in die so typische Alt‘sche Bildwelt, die Mitnahme von Wirklichkeit und ihre Überhöhung, das Wirken mit Erinnerung und Erfindung machen seinen Stil über die Jahrzehnte einprägsam aus. Und doch bleibt er nie in einer Phase hängen, er schreitet mit neuen Akzenten und Ideen fortwährend vorwärts. Wer in sein Atelier kommt, kann sich immer nur wundern. Das Ganze bewältigt er szenefrei und galeriefrei, es gibt nur wenige Galerien, mit denen sich eine engere Zusammenarbeit ergab. Stets bleibt er unabhängig und kann seinen Werkverlauf selbst bestimmen.
Wenn man eine Summe ziehen soll, so gilt das: Otmar Alt arbeitet vom Vielen zum Einen, zum Ganzen, auf der Suche nach der Wahrheit und einer stimmigen Bildform. In seiner früh entwickelten, charakteristischen, gemalten Puzzle-Technik äußert sich dieses Prinzip. Beeindruckend sind die Balancen im Formalen, sind die Schwingungen zwischen Verstand und Gefühl, zwischen Innerlichkeit und Äußerungsmöglichkeiten, zwischen Abstraktion und Lesbarkeit.
Es geht ihm nicht um l’art pour l’art, sondern um Aussagen, die bestimmte Formen bedingen, damit sie ankommen können. Otmar Alt erreicht die Menschen: Seine Kunst wirkt affektiv und kognitiv, sie fesselt den Blick primär und weckt die Neugierde der Vertiefung und Interpretation. Da ist viel Freiraum für jeden. Kunst generell und vor allem die Otmar Alts befasst sich mit allem, was den Menschen angeht, von der Geburt bis zum Tod, von der Religiosität bis zur Erotik, vom Alltag bis zur Ewigkeit. Die Themenbreite sorgt für viele direkte Ansprachen, für ganz unterschiedliche Assoziationen, Themen- und Formenwelt beteiligen die Betrachter intensiv am Kunstwerk. Es ist das, was wir so gerne den Dialog nennen, der die Menschen nicht ratlos, sondern kundig und mitdenkend bzw. mitfühlend macht.
Seine Arbeiten docken zwar immer auch an der Wirklichkeit an, denn man erkennt Dinge, Bauten, Personen, Handlungen und Zusammenhänge, aber immer klingen fabulierende, erweiternde, ausspinnende Akzente wie Nebengeschichten an. Da sind Wortbilder und immer wieder neue und neu erfundene Metaphern, mit denen er die Welt nicht neu erklären, ihr aber eine eigenwillige, über das Profane, das Alltägliche und das Vorhandene hinausgehende Ahnung geben will. Die vielen Formerfindungen stehen für Visionen, die fantasievollen Bildwesen geistern nicht nur künstlerisch, sondern auch geistig umher, nicht nur in seinem Kopf, sondern bald auch in dem der Betrachter. Schon die fantasievollen Bildtitel wie „Mondgrillentaucher“ usw. sprechen vom Einfallsreichtum und der Absicht, uns aus dem Banalen in eine andere, eine reiche Vorstellungswelt zu entführen. Seine Kunst hat etwas von Verzauberung.
Sehen – Tasten – Hören – Riechen – Schmecken sind Wahrnehmungsmöglichkeiten, deren Reichweiten sehr unterschiedlich sind. Sie spielen in der Sinnpyramide differente Rollen, wobei der Augensinn die größte und beste Aufnahmekapazität besitzt. Sinnliche Wahrnehmungen gehören zu den bedeutendsten Auffassungsgaben des Menschen. Kunst ist ein sinnlicher Vorgang, an dem der ganze Körper mitwirkt. Deshalb kann und muss man alle Kunst auch sinnlich erfassen, selbst Architektur kann mit Sinnlichkeit aufgenommen werden, und erst recht Skulptur und Malerei. Kunst ist eben nicht nur Konstruktion, Gedankenwelt, Inhaltsschwere, sondern sie hat eine emotionale Weite, diese Seite im Schaffen Otmar Alts setzt hier besondere funkende Akzente gegen Kopflastigkeit.
Belesen, gebildet, musikalisch, historisch orientiert, weiß er sich auf den unterschiedlichen Feldern des Geistes zu bewegen. Da ist trotz früheren jugendlichen Widerspruchs und Trotzes vieles grundgelegt worden und geblieben. Seine geistreichen Bildgeschichten, seine Erzählungen, seine intensive Auseinandersetzung mit Kunst und Kunstgeschichte, mit Welt und Weltgeschichte, ja mit Gott und der Welt ist dafür ein treffender Beleg.
Als religiöser Mensch ist er Formen der Spiritualität und der Rituale vielfältig verbunden. Wer die großformatigen Bilder seiner Lebensgeschichte „Zeichensetzer unserer Zeit“ - ein in der Kunstgeschichte einzigartiger Zyklus! – kennt, der stößt überall auf Wissen, Anknüpfungen, Erkenntnisse zu vergangenen Zeiten und zum aktuellen Leben. Er ist ein Beobachter, ein registrierender Geist, kein Buchhalter, sondern ein Denker und Analytiker. Seine Bilder sind in dieser Hinsicht keineswegs aufdringlich, aber doch deutlich.
Sein künstlerisches Werk ist keine Zitatenwelt, erst recht keine der Wiederholungen oder Kopien, sondern es spiegelt Auseinandersetzung. Es ist ein ständiger Diskurs über die Sprache und den Sinn von Kunst, es ist ein Nachdenken über die gewonnenen und verlorenen Kräfte der Kunst, es ist ein Umkreisen des Urbegriffs der Kreativität. Der Umgang mit den Leistungen der Altvorderen - bei manchen Künstlern äußert sich das als Ignoranz, Ausbeutung, Steinbruch für eigene Formenwelten und Sichtweisen - ist signifikant für die eigene Souveränität.
Otmar Alt stellt sich dem, indem er sich über lange Phasen intensiv damit befasste, ja damit kämpfte: Der umfangreiche Zyklus und die Ausstellung „Innenansichten der Moderne“ (2005) gibt davon beredtes Zeugnis. Bei seinem Besuch der Ausstellung „Paul Klee im Rheinland“ (2003) in Bonn erlebte man ihn in Demut und Respekt vor der Leistung dieses Malers, und zu dieser charaktervollen Haltung ist er auch anderen, jüngeren Künstlerinnen und Künstlern gegenüber fähig. Zu seinen Arbeitstugenden zählt es, aus der Tradition die Innovation zu schöpfen, denn wenn ich weiß, woher ich komme, lerne ich, wohin ich gehen muss.
Er ist ein lebensbejahender, optimistischer Mensch, dem das Jammern nicht auf der Zunge liegt. Er wurde nicht vom Leben geschont, war Kriegskind, wuchs in einem strengen, pietistisch geprägten Elternhaus auf, schlug sich als Student und als junger Künstler rechtschaffen durch, wagte in der Kunst damals Ungewöhnliches und gewann.
Er weiß, wovon er redet. Noch heute ist er ständig unterwegs sowohl zu geografischen als auch zu künstlerischen Zielen. Unrast und Muße, in Bewegung bringen und Innehalten, Meditieren und wieder Loslegen, das alles gehört zu seinem Künstlerleben, zu seinem vorliegenden riesigen Oeuvre, ja zu jedem einzelnen Blatt und Bild. Enttäuschungen tragen, sich selbst im Griff haben, fair bleiben und mit Lebensfreude anstecken, - seine Haltung äußert sich in diesem seinem Ausspruch: „Jeder Tag ist ein neuer Versuch.“ Otmar Alt schafft in seinem 75. Lebensjahr wahrlich noch eine bewundernswerte Arbeitsleistung.
Ihm sitzt auch der Schalk im Nacken, und seine Bilder sprechen davon. Fern von jeder falschen Idylle und Lieblichkeit sind seine Arbeiten oft voller Erzähl-, Symbol- und Formwitz. Man gerät bei der Betrachtung nach dem Rätseln ins Erkennen und schließlich ins Schmunzeln. Die Werke - Bilder, Plastiken, Objekte - haben Geist, mitunter eine leichte Ironie, wirken heiter und können gute Laune verbreiten. Das alles ohne zu verletzen und ohne naive Töne.
Natürlich verarbeitet er auch ernste Themen, sein Schaffen ist voll von metaphorischen Auseinandersetzungen mit Alltag, Dasein und Welt. Aber der Künstler kann selbstreflektiv auch über sich selber lachen. Freundlichkeit und Frohsinn springen immer wieder aus seinen Bildern, Skulpturen, von der Bühne und aus dem Geschirr.
In der Gründung und den Leistungen seiner „Otmar Alt Stiftung“, in der Vergabe von Stipendien an junge Künstlerinnen und Künstler spiegelt sich seine humanitäre und altruistische Einstellung. Sein Einsatz für Benachteiligte, seine Hilfe für Kinder (etwa für Häuser der Fürsorge, Betreuung und Nachsorge) bis hin zu vielen Benefiz-Veranstaltungen sind ihm stets wichtige Herzensanliegen. Er fordert nichts, er fördert stets. -
Er ist in Ausstellungen, bei Veranstaltungen und im Kunstgeschäft kontaktfreudig, kommunikativ, gesellig, - ohne Eitelkeiten, aber respektvoll und anerkennend gegenüber anderen Leistungen. Intensive Gespräche mag er, nicht ausweichend, tiefgründig, die Gesprächspartner ernst nehmend, über Länder, Religionen, Kontinente, Generationen, Leistungsfähigkeiten hinweg.
Dieser Satz sagt viel über Person, Werk und Botschaft: „Kunst bedeutet ein Zeichen setzen. Zeichen setzen bedeutet, etwas Bleibendes zu schaffen und
den interessierten Betrachter direkt in die Welt meiner Kunst mitzunehmen und einzubeziehen. Ich möchte den Menschen etwas mitteilen und in der Gesellschaft, in der wir heute leben, ein positives
Zeichen setzen.“
ist und bleibt: unbändige Fantasie, totale Kreativität, prägende Formkraft, unbeugsamer Gestaltungswillen und große Menschlichkeit. Darüber verfügt Otmar Alt in
reichem Maße.