Nikolaj Medtner

Klavierkomponist zwischen Tradition und Symbolismus

Nikolaj Karlowitsch Medtner wird im Januar 1880 in eine wohlhabende und kunstaffine Moskauer Familie geboren, als jüngstes von fünf Geschwistern. Der Vater ist Fabrikant, die Mutter hat eine Ausbildung als Pianistin und Sängerin genossen und ist die erste Klavierlehrerin des Knaben. Ab 1892 studiert Medtner am Moskauer Konservatorium. Dort erhält er in erster Linie eine Ausbildung als Pianist und studiert in den Klassen von Paul Pabst, Vasilij Sapel’nikov und Vasilij Safonov, unter dessen Führung er sich zu einem vielversprechenden jungen Virtuosen entwickelt. Unterricht in Musiktheorie erhält er zunächst bei Anton Arenskij, später auch bei Sergej Taneev, dessen Klasse er aber nur unregelmäßig besucht. Bis auf gelegentliche Privatstunden bei Taneev genießt Medtner keine geregelte kompositorische Ausbildung. Im Jahr 1900 verlässt er das Konservatorium mit der Kleinen Goldmedaille für Klavier. Wenig später brüskiert er seine Familie und seine Lehrer mit dem überraschenden Entschluss, Komponist und kein Konzertpianist zu werden. Erste Kompositionen erscheinen ab 1903 im Druck. Medtner tritt jedoch weiterhin auch regelmäßig in Konzerten auf und spielt vorrangig seine eigene Musik.

 

Nach ausgiebigen Konzertreisen übernimmt Medtner von 1915 bis 1919 eine Klavierklasse am Moskauer Konservatorium. Er schätzt das Unterrichten aber nicht besonders und schlägt verschiedene andere Angebote für Lehrpositionen aus. Nach der russischen Revolution und dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1921 emigrieren Medtner und seine Frau zunächst nach Berlin und haben in der folgenden Zeit verschiedene Wohnsitze in Deutschland und Frankreich. In Westeuropa hat Medtner nur mäßigen Erfolg, seine Musik wird gewinnt nur wenige Fürsprecher. 1935 veröffentlicht Metner, gefördert durch seinen engen Freund Sergej Rachmaninov, eine musikästhetische Schrift namens Musik und Mode und lässt sich im gleichen Jahr in Golders Green bei London nieder. Ab 1947 wird er durch einen indischen Maharadscha gefördert, der etliche Tonaufnahmen seiner Werke ermöglicht, bevor Medtner im November 1951 an einer Herzerkrankung stirbt.

 

Im öffentlichen Konzertleben spielt Medtners Musik auch heute nicht die Rolle, die seiner musikhistorischen Bedeutung angemessen wäre. Vielmehr steht die Rezeption seiner Werke im Schatten seiner berühmteren Zeitgenossen. Gleichwohl ist er bei weitem kein Vergessener – gerade in den letzten beiden Jahrzehnten setzen sich Musiker und Forscher immer mehr für seine Kompositionen ein, wenn er auch weiterhin, bedingt durch seine konservative Geisteshaltung und die weitgehende Ablehnung der musikalischen Avantgarde, häufig als ein rein retrospektiv Schaffender charakterisiert wird.

Eine stilistische Einordnung von Medtners Musik ist in der Tat nicht ganz unproblematisch und muss die Verwurzelung im seinem kulturellen Umfeld berücksichtigen. Der Einfluss seines ältesten Bruders Emil, eines Juristen, Musikkritikers und Philosophen, auf Nikolajs künstlerische Sozialisation ist kaum zu überschätzen. Ebenso maßgeblich ist sein Kontakt zu dem Dichter Andrej Belyj und zur Weltanschauung des russischen Symbolismus. Das private Umfeld ist von einer Orientierung an deutschsprachiger Kultur geprägt; die ›Hausgötter‹ der Familie sind Beethoven und Goethe, dessen Lyrik die hauptsächliche Inspirationsquelle für die Liedkompositionen des jungen Medtner ist. Erst in seiner mittleren Schaffensphase wendet er sich auch russischen Dichtern zu.

 

Medtners insgesamt vierzehn Klaviersonaten, die zum Teil in Zyklen von Charakterstücken eingebettet sind, werden zwischen 1903 und 1937 veröffentlicht. Sie zeigen eine beeindruckende Formenvielfalt und souveräne Beherrschung des kompositorischen Handwerks. Außer den Sonaten liegt auch eine große Anzahl kürzerer Stücke vor, darunter 38 sogenannte skazki (Märchen). Es existieren außerdem fast 100 Lieder und einige instrumentale Kammermusik, darunter drei Violinsonaten und ein Klavierquintett. Die einzigen symphonischen Werke des Komponisten sind drei Klavierkonzerte; alle Werke Medtners enthalten also einen Klavierpart. Aufschlussreich sind die vielerorts zu findenden Untertitel, die seinen Kompositionen häufig eine zusätzliche semantische Ebene verleihen (in den Sonaten etwa: Elegie, Ballade, Idylle, Sonata romantica oder Sonata tragica). Manche Werke sind zudem implizit oder explizit auf eine spirituelle oder literarische Inspirationsquelle bezogen; so gibt es Sonaten, denen ein Motto von Goethe oder Tjutčev vorangestellt ist. Fernab von einer Kategorisierung als ›Programmmusik‹ lässt sich Medtners Schaffen im weitesten Sinne als symbolistische Musik verstehen.

Wendelin Bitzan


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